Roman Zoltans Ziege herzwärts-Liebesgedichte Glücksgeisel-Gedichte Aufmarsch des Pfeifers MUSIK "selbst die steine werden singen" PUBLIKATIONEN Glaube Liebe Hoffnung GLH Bd.1 Von der Kraft des Vertrauens GLH Bd.2 Über die schönste aller Künste GLH Bd.3 Manifest für Grenzgänger VITA ERZÄHLUNG ESSAYS GEDICHTE PROJEKTE Gestatten: Kramer! Bild-Text-Kalender
Welt-Spiegel
Für Natalie Amiri
Wenn das Herz anspringt auf sein Thema,
FRAUEN mit Löwenkräften FREIHEIT einfordern
Zum Preis ihres LEBENs,
Dann hält sie, aus Passion, der Welt den Spiegel vor
Und der Außenpolitik die fehlende
Einlösung ihrer Versprechen.
Erzählt muss sein, um Mut zu wecken im gelähmten „Gottesstaat“,
Etwa von der Aktivistin Narges Mohammedi, die
Im Gefängnis, totaler Willkür ausgeliefert, schrieb
Auf kostbares Klopapier, wie im Knast gedemütigt,
Gefoltert, vergewaltigt wird; Mithäftlinge schmuggelten
Mutig die Wahrheit unter der Achsel ins Freie.
Löwenfrauen lassen sich nicht einlullen
Wie ausländische Delegationen beim Kebab
Auf dem märchenhaften Basar.
Lassen sich nicht nachsagen, die katastrophale Lage der
Menschenrechte im Iran, in Afghanistan, im Jemen,
Überhitzt und überspitzt darzustellen.
Sie haben eine andere Vision vom Mutterland.
Rohstoffreich das Leben aller bessern.
Friedensreich auf Atombombe gegen Israel verzichten.
Aufhören, Terror zu finanzieren
von Hamas und Hisbollah.
Aufhören, Assad, den Mörder seines Volkes, zu stärken.
Aufhören, im Jemen Bürgerkrieg zu schüren.
Russland keine Drohnen liefern, die den Tod bringen
Über die Ukraine. Und nicht Know-how, wie man ein
Widerspenstiges Volk knebelt.
Wir haben keine Angst, wir Frauen. Angst habt ihr,
Die ihr die Revolution versteinert
und die Freiheit fürchtet -
Wie der Teufel das geweihte Wasser.
Im Namen Gottes hat kein Unrecht Platz.
Auf dem Teppich versammelt sich Frieden.
Und der Tisch biegt sich, wenn Gäste kommen.
© Günther M. Doliwa, 15.5.2023
Klimaschlafwandel
Oder: Vom Verschwinden der Arten
Für Katrin Böhning-Gaese & Friederike Bauer
Lebensräume verschwinden Wir sind die Blinden
Tier und Land übernutzen Wir stressen und stutzen
Klimawandelextreme Wir kriegen Probleme
Umwelt verschwenden Wie und wo soll das enden
Invasion fremder Arten Verdreht die Landkarten
Wohlstand heißt Verbrauch Klar richtig auch Bauch
Landwirtschaft zerfrisst Flächen Natur hat halt Schwächen
Artenreichtum erbeuten Für hungrige Meuten
Erderwärmung anheizen Mit fossilen Reizen
Meeresböden umpflügen Konsum kann nicht lügen
Gebietsfremde Tiere Erobern Reviere
Vielfalt nützt dem Klima Schön wär’s danke prima
Meere versauern Sorry, wir bedauern
Mehr Plastik als Fisch Wir bitten zu Tisch
Seen ersticken Zeitbomben ticken
Flüsse versiegen Wir reisen wir fliegen
Egal wie entlegen Müll kippt uns entgegen
Die Leistung der Natur Juckt uns keine Spur
Großraubbau im Ganzen Was soll sich fortpflanzen
Hai Barsch Kabeljau Dezimiert wie Sau
Kipppunkt Fehlanzeige Es geht schleichend zur Neige
Extreme Verschmutzung Wir reden von Nutzung
Asiens Tigermücken Bringen Fieber mit Tücken
Es erholt sich der Rest Nur wenn man ihn lässt
Moore fallen trocken Vernässen kann locken
Dünger Plankton vermehrend Leider verheerend
Seestern nascht gern Riff Das erbleicht vom Zugriff
Emissionen sind teuer Büroungeheuer
Wahre Kosten einpreisen Ein ganz heißes Eisen
Zu bremsen den Schwund Geht nur im Verbund
Bewusst gegensteuern Schutzgebiete erneuern
Schadsubvention kürzen Biodivers würzen
Fleischkonsum runterschrauben Was sich Ökos erlauben
Mit Natur sich befassen Wahre Werte erfassen
Der Wildnis Raum geben Vervielfältigt Leben
Wir sollten längst handeln Nicht Klimaschlafwandeln
16./21.5.2023 © Günther M. Doliwa
Lieber Herr Doliwa,
vielen Dank für das wunderbare Gedicht; wie schön!
Es freut mich sehr, dass das Buch Sie zu einem wirklich eindrucksvollen Gedicht inspiriert hat!
Mit besten Grüßen, Katrin Böhning-Gaese (23.5.2023)
Das Buch im Querformat 21,5 x 15,5
erscheint im Dezember 2022
kostet 21 Euro plus Versandkosten.
Der schönste Lobpreis auf die geschlechtliche Liebe findet sich im Hohen Lied im Alten Testament der Bibel. Die (zeit-) lose Sammlung von Liebes- und Hochzeitsliedern vereinigt Poesie aus verschiedenen Zeiten.
Das Lied der Lieder erfuhr drei Miss-Interpretationen.
1. „Die allegorische Interpretation widerstreitet dem klaren Wortlaut der Lieder.“ (Otto Kaiser, Einführung in das Alte Testament 1978, S.322-327) Um die erotische Vitalität einzudämmen und ihre drastische Schärfe abzumildern, missdeutete man seit dem zweiten christlichen Jahrhundert die Lieder allegorisch: Es handele sich beim Bräutigam um Christus, bei der Braut um die Kirche (Hippolyt) oder um die Einzelseele (seit Origenes) bzw. um Maria (seit Ambrosius).
2. Im 18./19. Jh. sah man im Hohen-Lied ein dramatisches Singspiel oder eine ländlich-idyllische Hirtendichtung.
3. Einige sahen darin ein mythologisches Kultdrama, ein Zwiegespräch zwischen dem sterbenden und wieder auf-erstehenden Frühlingsgott Tammuz und seiner Geliebten Ischtar.
Aufgrund des Metrums spricht man von Rollendichtung.
Liebeslust-Bejahung
Die leidenschaftliche, heimliche, nicht legitimierte Liebe zwischen Mann und Frau kommt darin drastisch-plastisch, sehnsuchtsvoll-zärtlich zur Sprache.
Das Hohelied zeigt, „daß der Eros weder etwas Göttliches noch etwas Dämonisches ist, sondern im menschlichen Leben sein eigenes Recht besitzt.“ (Kaiser, a.a.O. S.327)
Dieses tief-erotische Lieder-Album beschwört und feiert die sinnlich-leibhaftige Liebe im Wechsel-gespräch/-Gesang Verliebter und Liebender. Liebe verträgt sich weder mit leibfeindlichem Puritanismus noch mit purer Sexualisierung. Beides wären Verarmungen ihrer aufstrahlenden Schönheit, welche die Kraft hat uns zu verwandeln.
GEH, WOHIN DEIN HERZ DICH ZIEHT
Erfahrungen von Leere und Fülle
Heute haben wir ein schönes Kontrastprogramm vor uns, ein Spitzenspiel zwischen dem Meister des Mangel-Blicks (dem Prediger/Kohelet) und dem Meister des Fülle-Blicks (Jesus). Beim erstgenannten Prediger sind alle Antworten sozusagen „Blowin‘ in The Wind…“ (Bob Dylan). Alles hat seine Zeit. Alles Strampeln sei für die Katz. „So viele Träume, so viel Nichtigkeit - Haschen nach dem Wind.“ (Koh 5,6)
Bedrückte ohne Tröster Tränen ohne Trost
Reichtum ohne Frieden Besitz ohne Behalten
Unrast ohne Muße Plappern ohne Weisheit
Urteil ohne Maß Faustrecht ohne Recht
Mühe ohne Ruhm Planen ohne Glück
Gaffen ohne Fühlen Versprechen ohne Halt
Vermögen ohne Erben Erbschaft ohne Anstand
Tische ohne Gäste Sattheit ohne Schlaf
Leben ohne Güte Gärten ohne Baum
Anfang ohne Ende Unglück ohne Wende
Unrecht ohne Folgen – und alle trifft dasselbe Geschick
Was rät der Prediger Zeitgenossen?
Besser ist Weisheit als Kriegsgerät (9,18)
Iss fröhlich, trinke wohlgemut (bevor’ s für dich ein andrer tut!)
Trag weiß, trag bunt und mach dich schön
Genieß das Leben mit dem, den du liebst
Tu du ganz, was du zu tun vermagst
Sei guter Dinge, egal was blüht
Bann den Ärger fest aus dem Sinn
Halt Böses fern von Anbeginn
Geh, wohin dein Herz dich zieht (11,9)
Besser ist’s, sich bei all seinem Tun zu freu‘ n
Jesus als Meister der Resonanz, der im Begegnen zum Klingen und Schwingen bringt, was die Welt so dringend braucht, stiftet unterwegs (!) an zu Solidarität und Gastfreundschaft. Er distanziert sich von Macht-, Vorteils- und Besitz-Denken. Nachfolge verlangt Abkehr von Sicherheit, vom Horten vergänglicher Schätze (Kohelet). Die Stunde ist nicht in unserer Hand. Jesus findet Halt im wandernden Sternenzelt Gottes. Er gibt sich nicht her, Erwartungen zu bedienen nach Gusto. Er handelt mit Weisheit, lebt die Goldene Regel; sie ist unendlich im Vorteil: denn sie enttäuscht nie. Torheit ist, nichts für alles zu halten, da alles nichts ist. Außer der Fülle, die allerdings ist - unverfügbar.
© Günther M. Doliwa - 31.7.2022 – www.doliwa-online.de
<< Neues Textfeld >>
Aus welchen Quellen trink ich
Aus welchen Quellen trinkst du
Und pulsieren die Quellen frisch
Und sättigen sie den Durst
Und verleihen sie mir Kraft
Und führen sie aus der Sucht
Und verbinden sie die Wunden
Und verbinden sie mit dem Guten
Aus welchen Quellen trink ich
Aus welchen Quellen trinkst du
Und bringen sie mich in Fluss
Und träumen sie auch vom Meer
Und würdigen sie die Ufer
Und umtanzen sie Hindernisse
Und halten sie mich auf Kurs
Und lehren sie mich die Balance
Und singen sie mir ein Lied
Und bin ich Teil des Refrains
Und weisen sie ein ins Glück
Und stimme ich voll überein
Und machen sie durstig nach mehr
Und machen sie satt an Liebe
Aus solchen Quellen trink ich
Aus solchen Quellen trink auch du
4. Januar 2022
’s ist Krieg! ’s ist Krieg!
Von Günther M. Doliwa
frei nach Matthias Claudius, 1778
’s ist Krieg! ’s ist Krieg!
Auf dass ein Land sich wehre,
In das der Feind stürmt ein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre,
Nie gleichgültig zu sein!
Was soll ich tun, wenn tausend Panzer rollen,
Geschickt aus Großmacht-Wahn?
Dem Geist der Freiheit will ich Achtung zollen,
Denn ihr gehört die Bahn.
Wenn Menschen panisch in die Keller fliehen,
Denn droben droht der Tod.
Im Anschlag auf ein Volk sie überziehen
Ein Land mit Mord und Not.
Wenn Wahrheit nicht mehr gilt, nur lockt die Beute,
Zwingt Krieg den Willen auf.
Nun alle elend, alle arme Leute.
Krieg nimmt viel Leid in Kauf.
Wenn einer ausheckt Operationen,
Beherrscht vom Ring der Macht,
Kalt und besessen von Illusionen,
In seiner Welt ist Nacht.
Was hilft dir Macht und Land und Schein und Ehre?
Leben hat jeder eins!
’s ist leider Krieg – und ich beschwöre
Das Friedenseinmaleins!
Hubertus Halbfas (1932-2022)
Der Wein ist schon im Keller
In Memoriam - Von Günther M. Doliwa
Vor allem sich selbst ist er treu. Konsequent setzt er um, was er einmal schmerzhaft erkannt hat. Nimmt er den Glaubensverlust wahr, kann ihn nichts davon abbringen, eine radikale Kurs-Korrektur vorzunehmen, vor der die meisten in der Kleriker-Kirche zurückschrecken und lieber „so weiter machen“. Er leistet „Aufklärung und Widerstand“. War er jemals nicht im Abseits!? Immer wenn er seine eigenen wohl durchdachten Deutungen vorbringt, melden sich seine amtlichen Vorgesetzten und treiben ihn in die Häretiker-Ecke. Halbfas spricht in seinen Memoiren von „Herrschaftskirche“ (So bleib doch ja nicht stehn 2015, S.199), bereits im Jahr 1970. Sie sei „in ihrer Rechtsverfassung, Doktrin und Moral ein Werk des Gesetzes“. Er hat erkannt, „dass die bisherige Kleriker-Kirche ein Auslaufmodell ist“ (370). Er verwendet bereits in den 60er Jahren eine „selbstmörderisch-offene Sprache“ (KNA). Damals, um die Studentenrevolte herum. Er scheint mir kühner als Küng gewesen zu sein. Der legte kein großes Wort für ihn ein. Rahner drückt und biegt sich um ihn herum.
Glaube habe stets „welterschließende Funktion“ (195). Aufgaben der Kirche wären: „Not zu lindern und durch tätige Liebe den Geist Jesu zu bezeugen“ – aber in welchen Entwürfen? Das Evangelium sei in babylonischer Gefangenschaft, von wegen Triebkraft für Humanität, Aufklärung und Emanzipation! Reformer unterlägen einem verbissenen Wunschdenken. Es fehlt „eine Revolution in den Köpfen.“ (198)
Die Gottesfrage verlegt er ins Innerste des Menschen. Er verwirft den Dualismus von Diesseits und Jenseits. Was, wenn Gott nicht dies und das, sondern unser tiefstes Wesen wäre!? So fragt er mit den Mystikern wie Eckart. „Der Wein Gottes ist immer schon im Keller.“ (242) Wo die Schönheit Gleichnis ist und Leben zum Leben spricht. Bei Tisch holt der Frieden tief Atem. Von Wurzelwerk und Labyrinth wissen jene nichts, die im Denken stagnieren, Entwicklungen nicht mitvollziehen, lieber dogmatisch hinrichten.
Die Bibel ist nicht mehr das unantastbare heilige Buch der Messe. Erkenntnisse „zwingen zu einer Revision der bisherigen Deutung und Bewertung der Bibel als inspiriertes Wort Gottes, wie es die Liturgie immer noch beansprucht.“ (313) Da sei viel Ungereimtes, Abstoßendes, Unbarmherziges drin. Aber er besteht darauf, dass es „ohne dessen Kenntnis keine kulturelle Kompetenz geben kann.“ (314) „Heute stehen Christen im Dialog mit der Bibel, nicht unter ihrem Diktat.“ (314) Sprache lebt von Erzählweisen, Gattungen, Mustern. Er fragt: Welche Erzählmuster liegen in einem Text vor? Nicht: Für wie heilig müssen wir diesen Text halten? Glaube ist für ihn kein Betriebssystem, da wären seine Inhalte „ausgestopfte Präparate“ (394).
Wo bleiben prophetisches Ungestüm, Anregungskraft, Poesie, Alltagsrelevanz? Um den Formelbestand aufzubrechen, müssten wir: 1. Das mythische Erzählen wiederfinden. 2. Die Lücke im Credo füllen (Jesu Leben). 3. Die vergegenständlichte Rede von Gott überschreiten (keine Diesseits-Jenseits-Spaltung).
Lass Gott um Gotteswillen fahren! Er beklagt den völligen Ausfall innovativer Theologie. (378) Über neue pastorale Räume sagt er: Dahinter steckt der pure Mangel. (371) Es handelt sich um eine Erosion des religiösen Lebens. Der Ansatz beim Pfarrer geht in die Leere, zumal das Begabungsprofil konservativer wird. Zusammenschmelzen von Pfarreien mache Kirche unkonkret. Kirche wird nur noch behauptet. Formel: Kirche weg – Leute weg! Er empfiehlt das Modell Poitiers (S.372f) Der Erzbischof entwickelte 1994-2011 ein Modell für priesterlose Gemeinden: Pro Gemeinde fünf Verantwortliche; Gemeinde wird gebildet, um das Evangelium zu leben. Pfarrer ist abgeschafft, weil sonst die Laien nur Gehilfen bleiben. Dienst ist Aufgabe von allen. Glaube ist primär Praxis. Der idealisierte Blick nach rückwärts genügt nicht. (376)
Vorbei sind die Zeiten von Kirche „als sakral begründeter Herrschaft, in der christliche Freiheit zu Gehorsam werde.“ (385) Der Can.208 (CIC) rede von der Taufwürde, stufe aber ab nach Stand und Geschlecht. Der allgemeine Autoritätsschwund mit Glaubensgehorsam müsse weichen zugunsten mehr Partizipation, die alle Teilnehmer ernst nimmt.
Opulent und monumental seine kommentierte Bibel, astreine Schürfarbeit, alles nah am Puls der Zeit, so glasklar, so unbequem, so „jesuanisch“. Er favorisiert einen Mut, einen Glauben, „der die Kraft gibt, Erschrecken, Unverständnis, Kopfschütteln und Tadel aller, die im Boot sitzen, auszuhalten.“ (Ebd. 97) Nur wer aussteigt aus dem sicheren Boot samt Steuermann und Segel, kann sich selbst erfahren. Der Vorausdenker, Anreger, Vielarbeiter ist erfahren in der Kunst des Kelterns, ein „bleibender Bote“, mit Rilke zu rühmen:
„Alles wird Weinberg, alles wird Traube,
in seinem fühlenden Süden gereift.“
aus: Günther M. Doliwa, Hätte aber Liebe nicht 2020 S.269ff
Neuerscheinung:
Hiob. Gottesrebell.
Zwei Versionen
Schlüsselfigur
im Umgang mit Krisen
Preis: 15 Euro (D)
Zunächst ein Sprechstück:
Ich klage, was mir widerfährt.
Dann eine essayistische Adaption: Hiobs Wiederkehr
Das Hör-/Sprechstück kreist um die Sinnkrise des Hiobs mit schrecklicher Bilanz, nachdem er Kinder, Besitz und Gesundheit verloren hat. Ich habe die gekürzt und Motive verstärkt.
Hiobs Wiederkehr, der alternative zweite Text, der die Sprecherrollen aktualisiert, umkreist die Schrecknisse und Umbrüche der Gegenwart und wirft die Gottesfrage unter heutigen Gesichtspunkten auf.
Hiob ist eine archaische Figur des leidenden Gerechten.
Hiob heißt und fragt: Wo ist der Vater?
Hiob trifft den Kern jeder Krise mit Wucht.
Hiob ist mein Beitrag zur Angstbewältigung in der Krise.
Hiob ist für mich die exemplarische Figur der Krise, bei der niemand weiß, durch wessen Gefährdung sein Leben in Gefahr kommt.
Hiob stellt sich den Rätseln und rebelliert gegen falsche Gleichungen.
Kurzmeditation des Alltags wird zum Gewinn
Rezension von Hermann Häring
Günther Doliwa, Hätte aber die Liebe nicht ‑ Zeichen der Zeit ‑ Anders unterwegs sein, DO‑Verlag, Ostern 2020, 276 Seiten, ISBN 978-3-939258-26-1
Das ist ein erfrischendes Buch, genauer: eine wild erfrischende Mischung von ziemlich vielfältigen, immer überraschenden Texten. Günther Doliwa ist ein Meister kleiner Textformen und nachdenklicher Gedichte, aufmunternd und quer-orientiert, fromm und weltverliebt zugleich. Nicht dass ihn oft Fragen von Glauben und Lebenssinn beschäftigen, ist sein besonderes Merkmal, sondern dass er sie nicht in einer muffigen Vergangenheit, vielmehr in der Welt, in menschlichen Abgründen oder mitreißenden Zukunftsphantasien findet:
„Christen müssten Zeitung lesen“ (103).
Wie zufällig versammelt Doliwa seine Texte um bestimmte Orientierungspunkte und sie eignen sich als kleine Erfrischungen zum gelegentlichen Lesen. Da werden etwa Gerechtigkeit, Friede und Liebe, aber auch Weihnachten, Ostern oder Pfingsten zu Wegmarken. Bisweilen taucht ein aufmüpfig umgedichtetes Kirchenlied auf, eine Erinnerung an Greta Thunberg oder ein Loblied auf alles, was eine Trennung bewirkt, was das „christliche Kraftwerk“ ausmacht oder in Zeiten der Corona-Entbehrung möglich wird. Politische und gesellschaftliche Fragen, für den Autor eng mit religiösen verbunden, sind – doppeldeutig wie immer ‑ im Spiel: „Diese Stadt hat / Diese Stadt hat viel / außer einem Bewusstsein für / ihr zweifelhaftes Doppel-leben“ (207). Doch finden sich auch längere Texte, etwa zu Josef mit seiner ägyptischen Erfolgsgeschichte, zum Kreuzweg Jesu oder zu Fragen der Kirchenreform.
Der philosophisch und literarisch Kenntnisreiche widmet, ebenso überraschend, seine Texte bekannten und unbekannten Personen, Hans Küng etwa und Shakespeare, Martin Scorsese und Hanna Arendt, Hubertus Halbfas, Jürgen Habermas und dreißig weiteren Personen; meistens entdeckt er Originelles in ihnen. Ein eindrucksvoller Text gilt den im Mittelmeer Ertrunkenen, andere nehmen biblische Stichworte auf oder denken über Jesu Geschwister nach, einer reduziert das Vaterunser auf seine zentralen Stichworte oder erklärt, was Frieden, Liebe oder unerforschlich ist. Immer wieder taucht die nicht zu erschöpfende Frage auf, wer Jesus war und wie man ihn falsch verstehen kann. Doliwas Antworten lauten meistens anders, als wir es erwarten, zum Beispiel: „Obwohl Jesus nur in den Augen der Opferpriester / Priester war In Wirklichkeit war er / ein Opfer der Priester“ (204). Aus manchen Versen spricht eine übersprudelnde, höchst nachdenkliche Kraft der Sprache: „Auf einem endlichen Planeten sind unendliche / Wachstumsspiele undenkbar. Die Eskorte rückt ab. / Entzückend, das frei gewordene Feld“ (257). Dort bleibt einem der Atem im Halse stecken, wo sich in einer Nachdichtung der sterbende Knabe des Erlkönigs als das Missbrauchsopfer eines „Sackmenschen“ (170f) entpuppt.
Man lese jeden Morgen, Abend oder in jeder Arbeitspause einen der Texte von meist einer oder zwei Seitenlängen. Manchen mag man dann gerne wiederholen. Doliwa macht auch den Ungeübten die ungezwungene Kurzmeditation zu einem unaufdringlichen Gewinn. Sollten die Texte den Frommen zu weltlich und den Weltlichen zu fromm sein, dann hätten die Gedanken genau die Situation getroffen, die zum kreativen Weiterdenken verlockt.
Letzte Änderung: 3. Juni 2020
Hätte aber Liebe nicht. Zeichen der Zeit.
Von Günther M. Doliwa,
Erscheint an Ostern 2020, 276 S.
10 Farbbilder
Preis: 20 Euro
Vielleicht ist es das BUCH DER STUNDE.
Ein Trostbuch, das Zuversicht verbreitet; welches davon befreit, sich in Schuld und Sünden zu suhlen.
Ein Schöpfrad, das aus Liedern und (eigenen) Psalmen zu schlürfen gibt. Es fängt das Leben in seiner Buntheit ein. Der christliche Impuls wird frei gelegt in seiner ursprünglichen Vitalität. Gerade in Corona-Zeiten kann es die Tage erheitern. Das aktuelle Gedicht: Vorsicht Ansteckungsgefahr! kann man auch positiv wenden. Wir lernen Relevanzen zu verschieben. Im Gedicht Mittelfeld steht die nachdenkliche Diagnose:
„Da weißt du, dass Ordnungen fragil/ und Menschen aggressiv sind/ hältst du Ratlosigkeit wie ein Fieber aus/ schickst du den Sarkasmus in die Schule des/ Leicht-Sinns ohne leichtsinnig zu sein/ kommst du mit Abgehängten ins Gespräch/ korrigierst du die Hierarchie der Prioritäten/ da fächelt einem die Weisheit Kühlung zu// Und du hast Zeit dich zu fragen/ Was du fühlst Was du denkst/ Was du eigentlich möchtest/ Welches Leben du auf Dauer führen willst/ Was für eine unbändige Kraft dein Wille ist/ Welche Freiheit Vergebung gewährt/ Welcher Schatz unter deiner Angst begraben liegt/ Was geschieht, wenn wir das Unbehagen verlieren// Vor allem erfährst du/ wie bereichernd/ und beglückend es ist/ kreativ zu sein/ in einem einfallsreichen Universum/ dem immerhin// auch DU/ eingefallen bist“ (S.255)
Das Buch ist im Übrigen ein Gang durch die christlichen Hochfeste: Weihnachten, Ostern, Pfingsten. Auf das 2020 stornierte Ostern muss man mit diesem Buch in der Hand nicht verzichten. Die insgesamt 144 Texte umkreisen zentrale Themen: Zeichen der Zeit. Sie laden ein zu einem anderen Unterwegs-sein. Es ist ein Aufruf zum solidarischen Miteinander. Es lädt ein, Schritte zu machen Richtung: Gerechtigkeit, Frieden, Liebe, Bewahrung der Schöpfung, Freiheit. Es ist ein Wegweiser der Botschaft, die sich anschickt (friedliches Begeisterungs-) Feuer auf die Erde zu werfen.
Man begegnet darin Künstlern und Dichtern, Filmemachern und Philosophen. Von Goethe bis Enzensberger, von Barlach bis Heller, von Kafka bis Scorsese, von Hannah Arendt bis Simone Weil. Große Theologen wie Drewermann, Halbfas und Küng werden gewürdigt.
Das Buch entfaltet, was zur Entfaltung hilft.
Günther M. Doliwa, Herzogenaurach, den 24.3.2020
Ab sofort zu bestellen: guentherdoliwa@herzovision.de
Eine Analyse der Krise
14. Mai 2020, am Namenstag der Hl. Corona (!)
von Günther M. Doliwa
Eine Seuche kann alles umwälzen. Die schweizerisch-US-amerikanische Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross (1926-2004) entwickelte aus der Sterbebegleitung ein 5-Stufenmodell, wie Sterbende und Trauernde mit Verlust umgehen. Die Hl. Corona, der Legende nach zwischen Spannungen (zwei Palmen) zerrissen, ist das Symbol der Krise.
Ausbruch der Pandemie
Phase 1 Leugnen, Schock mit Verzögerung
Phase 2 Zorn und Bändigung
Phase des Verhandelns
Phase Depression/Selbstaufgabe
In der Lektüre von Thomas Manns Josephs-Roman stößt man auf eine Reihe von archetypischen Motiven, die vielleicht helfen können zu begreifen, was in der gegenwärtigen Krise vor unseren staunenden Augen geschieht.
Phase von Akzeptanz und Bewältigung
Nummer 1: Wirklichkeit neu sehen!
Als erstes wäre das heutige Herrschaftsverhältnis zur Natur zu demaskieren als irriges Weltverständnis. Der Einsatz für die Erhaltung des Lebens wäre keine Zeit=Geld-Verschwendung, sondern im ureigensten Sinn dynamischer, atmender Beziehungen. Bei allem Respekt für die Leistungen der Wissenschaften: Wirklichkeit ist voller Paradoxe, Überraschungen und mit reichlich Raum für das Unvorhersehbare. Sprünge sind möglich. Eine andere Welt ist denkbar.
Nummer 2: Gewohnheiten überprüfen..Neue einüben. Wenn sozusagen über Nacht nicht mehr klar ist, was eigentlich normal ist, und vertraute Arbeits-, Freizeit, Urlaubs-, Konsum-Gewohnheiten in Frage stehen, offenbart sich ein Potenzial rascher Veränderungen. „In diesem Sinne haben wir die Kleinlichkeit unseres Eigeninteresses zu überwinden und Empathievermögen für alles Sein zu entwickeln.“ (Bruno Kern, Theologie der Befreiung Tübingen/Basel 2013, S. 113)
Nummer 3: Globale Solidarität als Hoffnungsspritze. Jenseits aller berechtigten Verzweiflung erhält das vorwärts gerichtete Engagement einen Hoffnungshorizont.
Fazit: Der gemeinsame Durchgang durch diese globale Krise, anhand der fünf Phasen der Trauerbewältigung nach Kübler-Ross, kann sich noch als äußerst fruchtbare Weck-Erfahrung erweisen, die Menschheit zum Umdenken und Anders-handeln zu bewegen. Mit gesundem (Selbst-)Wertgefühl und mit dem religiösen Anker der Hoffnung kapitulieren wir nicht vor Sterben und Tod.
Hl. Corona, sei Dank!
Von der Hoffnung (wieder) aufzuatmen
Zur Corona-Krise von Günther M. Doliwa,
20. März 2020
Alarmglocken
Corona der Schöpfung - also Krone – nennt man den Menschen, nennt man jetzt die Gefahr.
Allein die Hellziffern alarmieren die ganze Welt. Mit ihm verbreitet sich rasend der Virus der Angst. Man weiß nicht was schlimmer ist. Die Zahl der Infizierten in China in Europa steigt stündlich. Die Epidemie wird zur Pandemie. Die ersten Corona-Toten alarmieren Regierungen. Die handeln nervös. Neben Ministern sitzen Virologen Im Nu kennt sie das TV-Publikum. Das Robert Koch Institut erlangt Weltgeltung. Notwehrwitze kursieren auf Klopapierniveau. Wir witzeln das vermaledeite Virus nicht weg, machen Einschränkungen aber erträglicher. Im Jahr sterben 900.000 Menschen, an der Grippe im Frühjahr etwa 20.000. Covid 19 scheint gefährlicher zu sein. Die Angst vor Atemnot und Tod ist berechtigt, treibt aber teils bizarre Blüten. Auf Leben und Tod ist Thema. Das Leben hat Vorfahrt, auch wenn es paradoxerweise radikal verlangsamt wird.
Still-Leben
Es ist, als ob man dem System den Stecker gezogen hätte. Im Sturzflug befindet sich das Vertrauen. Das ganze öffentliche Leben verschwindet von heute auf morgen. Wie angehalten, das Leben, der Puls, der Atem in den Städten, in der Luft, in Fabriken, in Ausstellungshallen, in Kinos und Kulturstätten. Schulen zu. Kitas zu. Not-Pläne laufen an.
Der Staat sichert sich mit Berufung auf Paragraf 28 des Infektionsschutzgesetzes Durchgriffsbefugnisse, um dem Chaos zuvorzukommen. Ohne seine Versäumnisse im Gesundheitswesen zu erwähnen. Die Kanzlerin ruft auf, Kontakte weitestgehend einzustellen. Ein paradoxes Experiment auf unbestimmt, mit ungewissem Ausgang. Verzichtbar sind plötzlich: Bildung, Kultur, Unterhaltung, Freizeitangebote, Profi-Sport. Offenbar einzig unverzichtbar sind: Wirtschaft, Grundversorgung, Banken, Konsum. Einschränkbar Freiheitsrechte. Wir werden in die Wohnungen verbannt. Depression macht sich breit; Fatalismus, teils Panik bei Vorratskäufen. Die Entschlossenen handeln drastisch, nehmen 500 Milliarden Steuergeld (im Bund) in die desinfizierte Hand und verkünden: Die Lage sei ernst. Nehmt es alle ernst! Es werde vermutlich noch dramatischer kommen. Notfalls übernimmt der Staat anteilig Firmen. Auf sonst stau-gewohnten Ringstraßen gähnt zur Stoßzeit Leere. Sehenswürdigkeiten liegen frei. Schockierende Leere in Rom. Dafür Schlangen vor Supermärkten und Apotheken. Im Modus der Vorsorge wie fixiert auf das Eigene. Gesegnet seien die leisen Kommunikationsmittel: Telefonieren, Skypen, Video-konferenzen & Videoanrufe. Filme laufen via Streaming-Dienst. Kontakt geht. Eine wohltuende Stille herrscht in den Städten. Abgesehen von Balkonmusik, beklatscht und beliebt in Italien, in Österreich grantelt man eher. So unterschiedlich sind Mentalitäten.
Wir sind Gefangene des Katastrophenfalls auf unbestimmt. Mitgefangene in Quarantäne und Hausarrest. Wir sind Geiseln der Pandemie.
Aussetzen
So heißt die Devise, um die Exponentialkurven der Infektion abzuflachen. Ab sofort wird öffentlich-soziales Leben abgewürgt, um Leben zu retten. Gesundheit um jeden Preis? Dem Virus trotzen mit den Waffen der Staatsmacht? Nichts ist mehr tabu. Desaströse Wirtschaftsdaten in China. Produktionseinbrüche lassen Rezessionen ahnen. Börsen im Crash-Modus. Helikoptergeld direkt an Bürger?
Läden zu. Umsätze weg. Minijobber, kleine Unternehmen fürchten um ihre Existenz. Pleiten in Massen drohen. Spielbetrieb-Ausfall im Profi-Fußball wie im Science-Fiction-Film. Die EM ist verschoben wie alle Großevents. Verschoben ist nicht aufgehoben.
Wo bleibt die angstmindernde Kommunikation im Feuerwerk des Wahnsinns? Wie lange dauert der freiwillige Freiheitsverzicht, der weit über ein willkommenes Fasten hinausgeht?
Beinahe-Verstummen der Kirchen
Kirchen verstummen, als hätten sie ihre Stimme verloren. Wo teilen sie Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der heutigen Menschen? Wo findet die Angst der pilgernden Menschen Widerhall in ihren heiligen Hallen? Internet hilft. Weihwasser jedenfalls immunisiert nur die Dummen. Überwältigt schließen sie Kirchen, streichen Gottesdienste. Bischöfe halten aus Selbstschutz Video-Ansprachen, haben offenbar nur virtuelle Gnadenschätze auf Lager. Nehmt das auferlegte Fasten als Chance: Leben Sie Hauskirche!
Lasst uns geistliche Kommunion feiern! Säuselt es. Steckt euch um Himmelswillen nicht an! Karwoche Ostern Auferstehung? Ein Hochfest der Christen fällt dem Corona-Virus zum Opfer. Auf Karwoche kann man vielleicht verzichten. Passion für das Leben macht sich breit. Isolierte, die schon lange nicht mehr umarmt werden, sehen wie es allen andern jetzt ebenso ergeht. Denn die sozialen Abstände werden neu vermessen.
Jetzt ist kaum Zeit in den Nachrichten für gestrandete Flüchtlinge, für bittere Armut, für Strukturen der Ausgrenzung, für Syrienbombardements, Umweltkatastrophen und andere Ungerechtigkeiten wie der massiv störenden, trotzdem grassierenden Ungleichverteilung der Güter und Reichtümer der Erde, die allen gehört.
Absurd, genau jetzt, wo die Bischöfe vollends entmündigt sind, zu versuchen im Nachhinein Dispens von der Sonntagspflicht zu erteilen. Da hilft nur noch beten! sagen einige und rufen zu vereinigtem Bittgebet auf. Mit mäßiger Resonanz.
Dabei sind ab sofort alle Zustände und Abstände neu zu vermessen: die Würde auch der Besitzlosen, die Spielräume des Schaffens, die Dimensionen des Gemeinwohls. Alltägliche Apokalypse ist abzuwenden. Der Einschnürung aMini-Radius möge ein Schub zur globalen Lust folgen.
Von der Hoffnung aufzuatmen
Da hilft nur Gelassenheit und Solidarität und Reduktion auf das Wesentliche. Da können wir ruhig mal Applaus spenden für die Tausendsassas des Helfens. Da spielt Igor Levit im Netz Bach, Beethovens Diabelli-Variationen, Brahms. Die Staatsoper liefert allabendlich gratis Konzerte ins Haus. Künstler geben kostenlose Konzerte gegen die Einsamkeit, um zu trösten. Der kroatische Cellist Hauser spielt Leonhard Cohens Halleluja vor Bergkulisse. Bamberger grüßen Italien mit Bella Ciao von Balkonen aus. Kunst ist es wahrlich, in der Krise sich nicht von Angst überwältigen zu lassen; keinem Fatalismus Raum zu geben, keine Überdosis zumindest; rechtes Maß und Mitte zu halten, abzuwägen, was im Moment den schwächsten Gliedern nützt. Corona-Partys jedenfalls nachweislich nicht.
Nicht alles ist abgesagt: Sonne, Mitteilung, Nachrichten, Fantasie, Zuwendung, Anteil nehmen, ein Buch Lesen, zur Ruhe kommen, Zeit für die Familie, Solidarität, Aufmerksamkeit, Vorsicht und Rücksicht und Zuversicht und was nicht sonst noch alles…
Aufwartet der Frühling mit prallem Auferstehungsgelb. Die Luft atmet auf. Atmet auf. Atmet auf. Keine Kreuzfahrtschiffe bollern durch Venedig. Schwäne kehren zurück in die Lagune; im geklärten Wasser tummeln sich Fische. Seltene Bilder. Von Buddhisten ist zu hören: Akzeptiere den Wandel Das Virus ruft in Erinnerung: Alles ist mit allem verbunden, im Guten wie im Schlechten. Alles Schlechte hat auch Gutes. Dreh die Medaille.
Eine Hymne auf den aufgeklarten Himmel über allen nun smogfreien Metropolen.
Eine Fotoserie des Klinikpersonals & aller seit langem unterbe-zahlten Pflegekräfte, die trotz Notstand arbeiten weit über die Belastungsgrenzen hinaus.
Eine Wohnzimmer-Laola-Welle für das Schweigen der Ultras in den Stadien.
Einen Schiedsrichterpfiff gegen Hamsterkäufe.
Einen Sonderpreis für die rastlosen Zustelldienste, Lieferanten und Lkw-Fahrer.
Einen satten Extralohn für alle, die das Ganze solidarisch am Laufen halten.
Einen Prachtband aller Sehenswürdigkeiten der Erde ohne Selfie-Touristen.
Einen Tusch für die farbigen Frühlingsüberraschungen.
Eine Sonderführung durch den von Panik unbeeindruckten Garten.
Einen Applaus für jene, die uns aufheitern mit Notwehr-Witzen und Karikaturen.
Standing Ovations für die Künstler der Gratiskonzerte.
Ein Bravo für die Neuordnung der unbedachten Abstände.
Eine Rehabilitierung der entgifteten Sozialen Medien.
Einen Nobelpreis für die Forscher, die das Virus besiegen helfen.
Die Zwangspause lehrt Revolutionäres. Es geht grundsätzlich auf einen Schlag anders. Wenn politischer Wille da ist. Im Namen des Klimaschutzes, der Gesundheit, des Gemeinwohls. Im Namen der Familie, der Geringsten und im Namen einer Zivilisation gegenseitiger Achtung. Mensch, atme auf, atme auf, atme auf…
Wahrhaft unverzichtbar ist der Virus der Hoffnung, von dem sich guten Gewissens sagen lässt: Ohne ihn fehlt allen Nicht-Infizierten etwas.
© Günther M. Doliwa, Autor, Künstler, Theologe / Herzogenaurach
Frühlingsanfang, 21. März 2020
www.doliwa-online.de
Was als Liebesbrief beginnt, endet in Missvergnügen
Mit der Frühlingskraft des Geistes klerikalen Zynismus überwinden
Zu Querida Amazonia von Papst Franziskus -
von Günther M. Doliwa, 29. 02. 2020
„Querida Amazonia“ von Papst Franziskus, vom 02.02.2020, ist in erster Linie eine poetische Liebeserklärung an Amazonien. Darin unterbreitet er, garniert mit Volksdichtung, eine kontemplative und prophetische Sicht auf Amazonien. „Das geliebte Amazonien steht vor der Welt mit all seiner Pracht, seiner Tragik und seinem Geheimnis.“ (1) Da stimmt ein Träumer ein visionäres Loblied an auf Brüderlichkeit (!) und Solidarität. Er will „die Weltkirche herausfordern.“ (77) Franziskus breitet vier Visionen vor uns aus: Eine soziale, eine kulturelle, eine ökologische und eine kirchliche. Die ersten drei tragen deutlich seine Handschrift, die vierte allerdings könnte auch von einem strukturkonservativen Kurien-Vertreter geschrieben sein. Die ersten drei Visionen sind vorwärts-gewandt, fordern heraus, den Blickwinkel der Allerärmsten und Vergessenen einzunehmen. Die vierte dogmatische „Vision“ ist keine Vision, sondern rückwärtsgewandt, status-quo-orientiert, das glatte Gegenteil einer Vision: nämlich eine Blockade von Visionen. Vorne dominiert die lateinamerikanische, hinten die jesuitische Handschrift, mit konservativem Stil. Die Spannung zwischen Welt und Kirche bleibt unaufgelöst. Das versöhnt nur Traditionalisten. Das (ver-)stört Reformkräfte und belastet den „Synodalen Weg“. Ironie: Ausgerechnet dem höchsten Kirchenvertreter gelingt keine kirchliche Vision! Sie kann als „Dokument der Angst“ (M. Drobinski, SZ 13.2.2020) gelesen werden. Solange am alten System von formaler Hierarchie, exklusiver Männerweihe, Frauenausschluss festgehalten wird, muss eine Erneuerung der Kirche scheitern. Wie also das Papstschreiben würdigen, ohne es aus Enttäuschung gleich ganz zu verwerfen wegen offensichtlicher Schwächen?
Die Visionen
1. Die Soziale Vision (8-27):
Wir sollten aus Gerechtigkeitssinn „den Schrei der Ärmsten und der Erde hören“. „Man muss sich empören, so wie Mose zornig wurde (vgl. Ex 11,8), so wie Jesus zürnte (vgl. Mk 3,5)“ (15) und um Vergebung bitten wegen der kirchlichen Verstrickungen. Franziskus will eine prophetische Kirche. Heutzutage müsse Kirche unzweideutig „ihre prophetische Rolle“ wahrnehmen“ (19). Hier bestärkt der Papst eine gesunde Empörungslinie. „Die Ungleichheit der Macht ist enorm; die Schwachen haben keine Mittel, um sich zu verteidigen, während der Sieger weiter alles fortträgt.“ (13) Globalisierung verwende „Mittel bar jeder Ethik“(14). „Dazu gehören Sanktionen gegen Proteste und sogar die Ermordung der Indigenen, die sich den Projekten entgegenstellen, die Brandstiftung in den Wäldern oder die Bestechung von Politikern und Indigenen selbst. Dies wird von schweren Menschenrechtsverletzungen und von neuen Arten der Sklaverei vor allem gegenüber den Frauen begleitet wie auch von der Plage des Rauschgifthandels, der die Indigenen zu unterwerfen sucht, oder vom Menschenhandel“ (14). Die Geringsten seien für die Kirche die Hauptgesprächspartner.
2. Die kulturelle Vision (28-40):
Franziskus warnt vor der Gefahr, den kulturellen Reichtum zu verlieren. Entwurzelte bräuchten „die Nabelschnur“ eigener Geschichten, um zu überleben. Amazonien sei „Quelle künstlerischer, literarischer, musikalischer und kultureller Inspiration geworden.“ (35) Poesie hilft, kontemplativ zu werden. Wie kein Papst vor ihm nutzt Franziskus ihren Reichtum. Man müsse seine Wurzeln lieben als „Bezugspunkt, der uns erlaubt, zu wachsen und auf die neuen Herausforderungen zu antworten“. Es sei „nötig, sich die Perspektive der Rechte der Völker und Kulturen anzueignen“ (40).
3. Die ökologische Vision (41-60)
„Die Natur missbrauchen bedeutet, die Vorfahren, die Brüder und Schwestern, die Schöpfung und den Schöpfer zu missbrauchen und dadurch die Zukunft aufs Spiel zu setzen.“ (42) „In Amazonien ist das Wasser König“ (43), und auch wir „sind Wasser, Luft, Erde und Leben der von Gott geschaffenen Umwelt. Deshalb bitten wir, dass die Misshandlung und Ausbeutung von Mutter Erde aufhören.
Die Erde blutet und ist am Ausbluten, die multinationalen Konzerne haben die Adern unserer Mutter Erde aufgeschnitten.“ (42) Von Diversität geprägte Biome wie Amazonien, Kongo, Borneo seien unverzichtbar. „Das Gleichgewicht des Planeten hängt auch von der Gesundheit Amazoniens ab.“ Es liest sich wie eine Warnung: „Wenn der Wald abgeholzt wird, ist er nicht zu ersetzen“. Die Interessen weniger mächtiger Unternehmen, die zerstören und verschmutzen, niemals zufrieden mit dem Profit, dürften nicht über das Wohl Amazoniens und der gesamten Menschheit gestellt werden. (48) „Es wird keine gesunde und nachhaltige Ökologie geben, die fähig ist, etwas zu verändern, wenn die Personen sich nicht ändern, wenn man sie nicht dazu anspornt, einen anderen Lebensstil anzunehmen, der weniger unersättlich ist, ruhiger, respektvoller, weniger ängstlich besorgt und brüderlicher ist.“ (58) „Versessenheit auf einen konsumorientierten Lebensstil kann – vor allem, wenn nur einige wenige ihn pflegen können – nur Gewalt und gegenseitige Zerstörung auslösen.“ (59)
Hier verdeutlicht der Papst, was er in seiner bahnbrechenden Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ begonnen hat. „Die Kirche wünscht mit ihrer langen geistlichen Erfahrung, mit ihrem erneuerten Bewusstsein über den Wert der Schöpfung, mit ihrer Sorge um die Gerechtigkeit, mit ihrer Option für die Geringsten, mit ihrer erzieherischen Tradition und ihrer Geschichte der Inkarnation in so verschiedene Kulturen auf der ganzen Welt ebenso ihren Beitrag zur Bewahrung Amazoniens und zu seinem Wachstum zu leisten.“ (60) Jetzt ist man gespannt, welche gewünschte Kirche das sein kann.
4. Eine kirchliche Vision (61-110) Erstarren heißt zerfallen
Hier betreten wir ein Minenfeld katholischer Amts-Vorurteile. Tretmine „Zölibat“, Tretmine „Männerpriestertum“, Tretmine „Hierarchie“, Tretmine „Frauenausschluss“, Tretmine „Wahrheits-Monopol“. Jedes Betreten mutet selbstmörderisch an. Aber kritische „Wühlmäuse“ kennen das Gelände. Und die Minenräumfähigkeiten der ReformerInnen verfeinern sich. Sie werden zielsicherer, argumentativ stärker und angstfreier. 50 Kapitel handeln über Spiritualität, Eucharistie, Sonntagsruhe, Sakramente, kirchliche Ämter, Häufigkeit der Eucharistie, Priesterweihe, Klerus und Laien, Basisgemeinden, Netzwerke und Wandermissionare, als ob es kein Konzil und keine Reformimpulse gegeben hätte. Die Stärke der ersten drei Visionen war das prophetisch-befreiende und samaritanische Element, unterbaut durch die kontemplativ-poetische Dimension. (Siehe Katakomben-Pakt 2019)
Die vierte Vision schwächelt. Und weshalb? Weil sie auf statischen Elementen einer hierarchischen Ordnung aufbaut. Sie verzichtet auf das Prophetische. Strukturkonservative entwerfen Visionen, die angeblich den Schmerz anderer miteinschließen, jedoch ihnen selbst nicht wehtun. Ob Bischöfe eigentlich wissen, was „gutes Leben“ ist? Der Papst führt uns „Christus, den Priester“ vor (78). Und schon ist alles vermasselt, weil es nur noch um Recht und Liturgie geht. Eine Macht, die sich der Entwicklung, dem Leben verweigert und völlig ohne Selbstkritik auf Selbsterhaltung setzt, muss zwangsläufig zynisch werden, weil sämtliche berechtigte Reformanliegen ausgeklammert werden. Weshalb nicht Begriffe nutzen, die das Dilemma jeder Macht beschreiben! Der analytische Begriff „Zynismus“ ist im Sinn des Klassikers von Peter Sloterdijk (Kritik der zynischen Vernunft 1983/2018 S. 399ff) in erster Linie Polemik von oben. Es geht um „die richtige Erfassung der Wahrheit“ (401), wo laut offizieller Seite und „Herrscherwahrheit“ nicht sein kann, was nicht sein darf. Die Erstickungsmacht der Tradition, die Begreifen vortäuscht, um mit Zynismen aufzuwarten, verdient kräftige Demontagen.
Drei klerikale Zynismen, welche die Faktenlage ignorieren:
Klerikalen Zynismus, Selbstblockade überwinden
Jesus ist Machtkritik par excellence. Er entzieht der Machtversuchung allen Reiz: Bei euch soll es nicht so sein! Was berechtigt die Kirche nach Orwell’ scher Art einzuführen: Alle sind gleich (Gal 3,28), nur manche sind gleicher? Wie will eine monarchisch erstarrte Kirche einlösen, wozu sie selbst vom Evangelium her beauftragt ist? Weshalb ist die kirchliche Vision so mutlos geraten (Bischof Kräutler)? Hat Franziskus sich arrangiert mit einer reform-feindlichen Umgebung von Traditionalisten? Sein Vor-Papst, der nach seinem Abgang Schweigen gelobt, fällt ihm zur Unzeit ins Wort. Sein geschasster Protokoll-Chef war nicht frei von Verstrickung und Ränkespiel. Oder liegt im visionären Spiel mit „Amazonien“ eine letzte argentinische List vor gegen die Übermacht der Traditionalisten? Lieber wäre ein wagemutiger Petrus, kein vager. Er delegiert den Mut an andere. Ein wirklich kühner Papst müsste seine Überzeugungen selbstkritisch auf sich und die römisch-katholische Kirche anwenden, dann käme endlich Bewegung in die „unbewegliche Kirche“ (M. Marzano). Die schickt ihre Mitglieder gern auf lange Wege. Die Kirche hört nicht auf, sich was vorzumachen. Überkommene Formeln trösten nicht.
Seine Vision ist eingeklemmt in das kirchliche Gesetzbuch (CIC). Franziskus verfehlt es Hoffnung zu geben. Wir stoßen hier auf das Grundproblem einer Selbstblockade in der so nötigen Selbstbefreiung aus angemaßter Unfehlbarkeit, selbst-verschuldeter Unmündigkeit und Unglaubwürdigkeit. Der lebendige Geist wird gestutzt und nicht beflügelt. Buchstabe lähmt Geist. Damit bleibt die Würdenträger-Hierarchie in ihrer Sackgasse, in „Stagnation“ (69). Eine Kirche der Weglosigkeit wäre eine ausweglose Kirche. Systemblindheit hindert die Befangenen, echte Lösungen zu suchen. Würdenträger könnten zum Vorteil aller Wissensträger befragen, könnten das Misserfolgsmuster festgefahrener Hierarchien verwerfen, die Kompetenz im Volk zu Wort und zum Zug kommen lassen. Ich werde in Eulenspiegelmanier einige wegweisende Aspekte nutzen und in Anschlag bringen, um die verunglückte Vision nachzurüsten, die darunter leidet, in Selbstwidersprüchen stecken zu bleiben.
Wer könnte atmen ohne Hoffnung“!?
Ohne Auseinandersetzung führt kein Weg zu einer Vision. Wer den Streit anstrengt, fängt den Konflikt ein. Eine gepflegte Streitkultur arbeitet auf der Höhe der Zeit heraus, was eigentlich genau die Botschaft von Jesu Evangelium ausmacht. Struktur erstarrt ohne Vision. Nachgerüstet mit prophetischem Geist fängt die kirchliche Vision an zu leuchten, frühlingshaft zu blühen, zu vibrieren, ja, zu tanzen. Liebesbriefe fordern Fantasie.
29.02.2020
Vom klerikalen Zynismus
zum Verkörpern, was leben will
Von Günther M. Doliwa, 28. Februar 2020
Legitimationskrise
Bei den Reden der konservativ-reaktionären Front um Kardinal Woelki/G.L. Müller/Voderholzer & Co. haben wir es mit heillosen Rückzugsgefechten von klerikalen Hardlinern zu tun. Hier offenbart sich eine Legitimationskrise. In Anlehnung an Peter Sloterdijk spreche ich phänomenologisch von einem „klerikalen Zynismus“. Mit Zynismus charakterisiert Sloterdijk 1983 die Replik der Herrschenden auf Provokationen von unten. Das verblendete Herrschaftswissen wird polemisch. (Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, 21. Auflage 2018, S. 399ff) Dieser Typ von strategischer Polemik, der die Kritiker der Macht denunziert, taucht auf, wenn es um die richtige Auffassung von Wahrheit geht, also wenn in Krisen eine offizielle auf eine inoffizielle Sicht von Wahrheit stößt. Es geht also um Denk- und Handlungsmuster, deren zynischer Charakter gar nicht durchschaut wird, nicht darum, den Rednern moralische Verwerflichkeit vorzuhalten. Klerus und Laien haben sich entfremdet! Streitbare Seiten stehen sich gegenüber, greifen an, schlagen zurück, relativieren sich, reiben sich aneinander und lernen sich – im günstigsten Fall - kennen.
Erneut unter Beweis gestellt hat dies der Ex-Präfekt der Glaubenskongregation G. L. Müller, der die Entscheidungsfindung beim Synodalen Weg skandalöser Weise mit dem Ermächtigungsgesetz des Deutschen Reichstags von 1933 verglichen hat. "In einem suizidartigen Prozess hat die Mehrheit entschieden, dass ihre Entscheidungen gültig sind, auch wenn sie der katholischen Lehre widersprechen", sagte er am 4.2.2020. Wörtlich: "So war es, als die Weimarer Verfassung durch das Ermächtigungsgesetz aufgehoben wurde. Eine selbsternannte Versammlung, die weder von Gott noch von dem Volk autorisiert ist, das sie vertreten soll, hebt die Verfassung der Kirche göttlichen Rechts auf, die auf dem Wort Gottes in Schrift und Überlieferung beruht." Hier spricht jemand mit höchstpersönlich von Gott autorisiertem Glaubensabsolutismus, was Beteiligte am Synodalen Prozess als „vergiftend" und „zerstörerisch" empfinden.
Was für ein Bewusstsein meldet sich da aus der erzkonservativen Ecke? Man beruft sich auf eine Verfassung göttlichen Rechts, belegt in Schrift und Tradition, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass „der Glaubensabsolutismus der organisierten Religion“ (P. Sloterdijk, a.a.O. S. 69) nach den Regeln der Kunst suspendiert ist. „Mit der Frage: Woher kann man das wissen? schneidet die Aufklärung dem Offenbarungswissen geradezu elegant, ohne besondere Aggressivität, die Wurzeln ab. Beim besten Willen kann menschliche Vernunft am geheiligten Text nicht mehr finden als historische, von Menschen gemachte Annahmen. Mit einer einfachen philologischen Nachfrage wird der Absolutheitsanspruch der Tradition vernichtet.“ „Die christliche Theologie bedeutet den so unermesslichen wie gespenstischen Versuch, Gewissheit gerade dort zu suchen, wo sie der Natur der Dinge nach nicht sein kann.“ (Ebd. 519) Wer sein Zu-viel-wissen nicht dezent verbirgt, bekommt es mit Zynismus zu tun. „Armer Hans Küng.“ (522)
Aufgeklärte Religion?
Fördert die Kirche Résistance, Emanzipation, Vitalität?
Religion könnte aufgeklärt sein und eine Zukunft an der Seite der Aufklärung haben, weil keine bloße negative Kritik und keine Enttäuschung ihr gerecht wird. Aber die Glaubens-Absolutisten tun so, als könnten sie einen unbedingten Standpunkt einnehmen, um eine geschichtlich entstandene Lehre als unantastbare Offenbarungswahrheit auszugeben. Sie stilisieren sich zu Gralshütern einer Wahrheit, die ihre Evidenz verloren hat. Durch ihr angemaßtes theologisches Sonder- und Herrenwissen spalten sie sich konsequent ab vom Volk, dem sie nur Laien-Wissen einräumen und eine Emanzipation in Glaubensfragen nicht zugestehen. Herrenköpfe wissen genau, was sie sagen. Sie zeigen den Leuten, wo oben und unten ist. Was gerade noch geht und was auf keinen Fall gehen kann. Sie entmündigen das Glaubensvolk, indem sie soziales Chaos voraussagen, wenn es wagen sollte, seinen Anspruch auf selbst verantwortete religiöse Mündigkeit und Lebendigkeit ins Spiel zu bringen. Die so verstandene Hierarchie hat sich massiv vom Kirchenvolk und von der modernen Theologie entfremdet.
Will die katholische Kirche ihr Dilemma begreifen, muss sie den Ambivalenz-Konflikt lösen. „Religion ist primär nicht das Opium des Volkes, sondern die Erinnerung daran, daß es mehr Leben in uns gibt, als dieses Leben lebt.“ (Sloterdijk, a.a.O.509) Religion kann „beides sein, Herrschaftsinstrument und Kern einer Resistance gegen Herrschaft, Medium der Repression und Medium de Emanzipation, Instrument der Devitalisierung oder Lehre der Revitalisierung.“ (510) Die Kirche, als Institution und Geist, muss sich entscheiden, welche Rolle sie spielen will: „Unterdrückung zu legitimieren und zu verdoppeln“ oder dazu beizutragen, „die Angst zu überwinden, die Individuen zu großer Widerstandskraft und Kreativität befreien.“ Lebendigkeit, Kraft, Lust, Rätsel, Rausch warten darauf, in der Kirche entdeckt zu werden. Für welchen Weg entscheidet sich die Kirche? Für die emanzipatorische Line oder die konservativ-verweigernde?
Synodaler Weg – wohin?
Betrachten wir den Prozesscharakter des Synodalen Wegs, können wir verschiedene Gruppen wahrnehmen. Ob es ein teilnehmendes Publikum geben wird, ist noch fraglich. Reformkräfte jedenfalls sind von Haus aus nur Zaungäste, obwohl sie gleichsam als eine Vorhut, als Avantgarde einer zeitgemäßeren Kirche gelten könnten. Sie werden (noch weitgehend) vom Dialog ausgesperrt, sind nur als Thema, nicht als Existenz zugelassen. Es gehört Freiheit und Frechheit dazu, zu sagen, was man in Wahrheit lebt.
Die Vollversammlung des SW besteht aus 230 Geistlichen und Laien, plus je fünf dazu gewählt pro Forum. Da sind die offiziellen Kirchenverbandsleute neben der Gruppe der lernfähigen Aufgeschlossenen unter den Bischöfen, die zu neuen Wegen bereit sind. Was wenn sie unterwegs ein persönlich freundliches Gesicht zeigen und hinterher ein lehramtlich erstarrtes? Manche Bischöfe stecken in Ambivalenz-Konflikten, wie weit sie bei Reformen mitgehen sollen, ohne den Zusammenhang mit der Weltkirche zu zerreißen. Manche mobilisieren ihre Loyalität und verbergen ihre Vorbehalte hinter einer grundsätzlichen Skepsis. Bischof Hanke/Eichstätt sieht die Gefahr, dass „man sich letztlich durch die Beschlussfassung abkapselt (?) von der Tradition der Kirche und von der Gemeinschaft der Weltkirche.“ Bischof Schick/Bamberg, der kein Problem hatte, 96 Seelsorgebereiche auf 35 zu reduzieren, gibt sich auf den Synodalen Weg bezogen zwiespältig und ängstlich vor Veränderungen. In Richtungskämpfen zermürbt wirft mancher das Handtuch.
Im Schatten und gut vernetzt, agiert eine Nachhut, eine einstige Vormacht in der Defensive, die auf der faktischen Selbsterhaltung einer Kirchenkonstitution besteht. Für sie ist alles Reden über Demokratie ein Missverstehen der Kirche und eine Überschreitung der engen Kompetenzen der Laien. In den Augen der Reformer haben jene ihre Legitimation umso klarer eingebüßt, da ihre ganze Raffinesse sich abarbeitet in der Verlängerung ihrer Macht. Klerikale „Verbalzyniker“ geben sich sicherer als man sein kann. Sie leben ihre negative, aggressive Seite aus im Strafbedürfnis, qualifizieren pastorale Zugeständnisse ab als theologischen Offenbarungseid, beschwören eine spaltungsfreie Einheit, die sich nicht vertrage mit Pluralismus, und maßregeln Abweichler und Querdenker von oben herab. Sie meinen zu wissen, was in der Kirche unverzichtbar sei. Sie meinen zu wissen, was auf immer katholisch sei. Anstatt die historisch bedingte Glaubenswelt zu entmythologisieren, verteidigen sie eine ewig-sakrale klerikale Herrschaftsstruktur, bei der sie das letzte Wörtchen haben wollen. Von Begriffen und Floskeln rücken sie nicht ab, auch wenn ihnen dazu nur die immer gleichen Deutungen einfallen. Sie sind wie entlassene Kapitäne auf dem untergehenden Schiff, das sich einst „Kirche“ nannte, gefeiert von Pseudo-Prominenten, die sie triumphierend mit dem Dauerlügner Trump vergleichen. Dabei erinnern Kirchen-Rechtler nüchtern daran, dass eine „echte Beteiligung“ gar nicht vorgesehen sei und „Augenhöhe“ mit Amtsträgern nur eingebildet. „Weit überwiegend scheinen die katholischen Laien aber damit zufrieden, sich gesehen zu fühlen, statt effektiv partizipieren zu können." (Lüdecke) Die Metapher „Weg“ verschleiert die Gegensätze. Wäre es doch ein Pilgern mit Start und Ziel!
Entlarvung von Spaltungen
Wir haben es nach der Missbrauchsstudie mit der Entlarvung von (Ab-)Spaltungen und innerkirchlichen Risikofaktoren zu tun. Je höher der moralische Anspruch, umso tiefer der Fall. Für den Zeitraum zwischen 1946-2014 wurden gezählt: 3677 Opfer, mindestens, davon 969 Ministranten; also jeder vierte! 1670 Täter, also 4,4 % aller Kleriker in Deutschland. 566 erhielten nur ein rein kirchenrechtliches Verfahren. In 154 Fällen keine Sanktion. In 103 Fällen eine Ermahnung. 41 wurden entlassen aus dem Kleriker-Stand. 88 wurden exkommuniziert. Über Entschädigungen ist man sich unter den Diözesen bis heute nicht einig. Menschen, die nicht verkörpern, was sie sagen, verwässern, verfälschen die Lehre. Wenn Amtsinhaber die Wahrheit über sich wissen und trotzdem weitermachen, „dann erfüllen sie vollkommen die moderne Definition von Zynismus.“ (Sloterdijk, 206) Es genügt also nicht, Reformthemen auf den Tisch zu bringen; die können jederzeit wieder vom Tisch gewischt werden. In der gespannten Atmosphäre tiefgehender Auseinandersetzungen kann es sehr wohl zu Enthemmungen kommen, denen die Traditionalisten ebenso wenig gewachsen sein könnten wie die Reformer. Das Klima der Lockerungen könnten die Herrschaftsideologen als anti-hierarchischen Affront verstehen, was in ersten Einschätzungen unserer verlässlich konservativen „Pappenheimer“ ja zu lesen ist. Die Konservativen antworten empört: An unserer göttlichen Verfassung rüttelt ihr jedenfalls nicht – nicht ungestraft! Sie wedeln mit dem Gespenst der Unfehlbarkeit. Reformer halten dagegen: Ihr macht uns die Kirche nicht kaputt!
In die Schule der Realität gehen,
den Schatz der Erfahrungen heben
Klerikale Zyniker müssten in die Schule der Realität gehen, was sie jedoch nicht nötig zu haben scheinen. Wie aber wollen sie Werte wie Mitgefühl, Teilen, Interesse am Wohlergehen der einzelnen leben, wenn sie von den Ärmsten der Armen, zumal von Frauen nichts lernen, diese aber beständig belehren wollen!? Nur ein aktuelles Zufallsbeispiel: Ökofeministinnen wie Vandana Shiva wären gute Ratgeberinnen: „Die Vorherrschaft des Mannes ist für niemanden gut. Ein Mann, der auf eine dominierende Rolle reduziert wird, kultiviert eine – mehr oder weniger latente – Form der Gewalt.“ (Lionel Astruc/Vandana Shiva, Eine andere Welt ist möglich, oekom Verlag 2019 S. 142) Die Befreiung der Männer ginge über Mitgefühl und Teilen. Laut WHO 1988 ist zur Kenntnis zu nehmen, „dass ein Zweiergespann Ochsen jährlich 1064 Stunden pro Hektar arbeitet, ein Mann 1212 und eine Frau 3485 Stunden – eine Frau arbeitet also länger als ein Mann und die Zugtiere zusammengenommen.“ In den ländlichen Gebieten Asiens und Afrikas arbeiten Frauen 13 Stunden pro Woche mehr als Männer. (Ebd. S.127) Frauen haben es satt, dass Männer trotzdem die Herrschaft über so gut wie alles beanspruchen, wobei Selbsterhaltung auf Machterhalt hinausläuft und nicht selten bis zur Selbstvernichtung reicht. Aber interessieren Kleriker Frauenschicksale überhaupt?
Arbeit am Zeitschmerz und ein Stück Heilung
Illusionslosigkeit gehört zur Moderne der fortwährenden Desillusionierungen. Die Schwerverwundeten einer Kultur können sich nicht einfach arrangieren mit dem Gegebenen. „Jede Kritik ist Mitarbeit im Zeitschmerz und ein Stück exemplarischer Heilung.“ (Peter Sloterdijk, a.a.O. S.26) Unter jeder Kritik klaffen Wunden. Es geht nicht darum, gegen alles, was Macht hat, eine Vorwurfshaltung einzunehmen. Aber sensible Selbstbesinnung und Selbstbestimmung hütet sich davor, gewisse Gegner überzeugen zu wollen, die sich ein Alibi der Verständnislosigkeit zugelegt haben, die Flucht in eine Allgemeinheit von „Wahrheit“ antreten, die Laien von Haus aus unzugänglich sei. „Kritik ist möglich, sofern der Schmerz uns sagt, was „wahr und falsch“ ist.“ (Ebd.20) Wie die Dinge liegen, kann es Treue zum Christsein nur noch in Untreue zur dogmatisch festgenagelten Kirche geben. Überträgt man den Satz: „Wissen ist Macht“ und „Macht ist Wissen“ auf die Kirche, begegnen wir einem klerikalisierten Denken, das idealistisch abhebt und sich arrogant vom Profanen distanziert. Es negiert jede wirkliche Wahrheitsliebe, die stets ein Weg ist und keine Endstation. Wahrheit, die man begriffen hat, will sich vermitteln und verkörpern, also praktisch werden und praktisch sein. Sich einmischen in die Verhältnisse, die vor Ungerechtigkeit, Schwindel, Machtgeilheit und Gier strotzen. Wer schlägt Brücken in die vom Klimawandel geschockte Gegenwart, die uns herausfordert, ihr gewachsen zu sein?
Lehrgänge ins Utopische
Wer zu Jesus in die utopische Lehre geht (!), - es ist ein Weg, kein Urlaub auf Trauminseln! - muss sich auf Wendungen, Wanderungen und Wunder gefasst machen. Er braucht keine gestandene Lehre mitzubringen, da das Leben in seiner Lebendigkeit Bestandsverteidigung lächerlich macht. Er muss bereit sein zu Aufbrüchen, Dinge und einst als richtig Gedachtes hinter sich lassen. Er, den die ersten AnhängerInnen als „Zeichen des Widerspruchs“ (Lk 2,34) verstanden, sorgt für eine Aufhebung der Dinge, die in eine andere Ordnung mündet. Er umschreibt mit Himmelreich-Gleichnissen diese andere Art zu sein.
Das Standpunktdenken muss zerstört werden, wenn man sich auf einen Weg macht. Im Gehorsam gegen die eigene Erfahrung, wird man fähig durch Aufklärung im guten Sinn zu ent-täuschen. Erfahrung macht sich keine Illusionen. Das wissen alle, die Brüche im Leben zu verkraften haben; alle, die auf die rätselhaften Wege der Kinder schauen, die ihre Elternerwartungen ins Leere laufen lassen; alle 2000 laisierten, verheirateten Priester im deutschsprachigen Raum.
Mehr als Kostümkritik
Es geht beim eingeschlagenen „Synodingsbums“ (Christiane Florin) nicht nur um Kostümkritik, obwohl auch das in der katholischen Kirche etwas hergibt, wenn man die wallenden Prozessionen des altmodischen Hochklerus betrachtet oder die aberwitzige Titelparade der Ring- und Amtsträger. In dieser Hinsicht wird Kritik maximale Erheiterung. Mancher in Machtspiele verstrickte Protokollchef verschwände besser von der Bühne. Zur Schau getragene höfische Würde entbehrt nicht einer gewissen Komik. Stockernste Männer-Mienen beim schleppenden Einzug in prächtigem Ornat, imperiale Segensgesten wirken aus der Zeit gefallen. Wenn die himmlische Regie es vorsieht, blättert bei der Beerdigung eines Papstes der Wind in der aufgeschlagenen Bibel, vergeblich eine Schlüssel-Stelle suchend…
Als Gemeinschaft verkörpern, was leben will
Fünf vor ernst aber ist es eine Mega-Aufgabe, die Tradition zum Sprechen zu bringen über das, was entbehrlich und verzichtbar ist, und ins Gespräch zu bringen mit den Erkenntnissen von heute. Kann schon sein, dass da Fetzen fliegen von zerrissenen Reden und Katechismen, die nur Abwehr waren gegen das eigentliche Leben des freien Geistes. Komm, du Geist, der Leben schafft!
Weshalb sich spalten lassen in die Alternative: aussteigen oder mitmachen? Was wäre gewonnen, wenn die moralisch Empfindlichsten das sinkende Schiff verlassen!? Wohin wenden sich Schiffbrüchige?
Die Moral sagt: Lebe, was du sagst! Und meint: Folge dem, was gelehrt wird! Der moderne Mensch weiß, es genügt zu sagen, was man lebt. Es reicht zu verkörpern und zu sagen, was leben will. Ob das Zerrissene (zwischen Klerus und Laien, Geist und Körper, Institution und Ereignis) wieder zusammenwächst? Es gilt, wachsam zu bleiben, wenn Spaltungen und seelische Abspaltungen drohen; bewusst in die eigenen Möglichkeiten hineinzuwachsen und vor allem – Wünsche zu achten, in denen das Mögliche vorscheint. Die Felder der Welt bestellen, zum Wohle aller. Im Bewusstsein einer universellen Zugehörigkeit zur (unterstellten) Gemeinschaft aller Glaubenden, Liebenden, Hoffenden könnte die Kirche Zeichen und Werkzeug einer größeren Einheit werden. Die monarchische Verfasstheit der katholischen Kirche aber ist aussichtslos überholt. Konservativen Lehr-Inhabern über göttliche Gesetze und Strahlungen gebührt als Antwort der klug-subversive Satz des Weltbürgers Diogenes aus der Tonne:
Steht nicht dem Licht im Weg!
Geht uns aus der Sonne!
Mein 1. Lied auf Youtube seit dem 29.10.2017
Freundlicherweise aufgenommen von Elmar Fuchs/Tirol
WILLKOMMEN, WILLKOMMEN
Beitrag zur Willkommenskultur
gesungen auf der 40. Bundesversammlung von Wir-sind-Kirche Ende Oktober 2017 in Ulm. Ich wurde ins Bundesteam gewählt für zwei Jahre.
https://www.youtube.com/watch?v=CnC_hsqUf2c&t=1s
Mein Luther-Buch zeigt das von Anfang an Umstrittene an einem, der um die Wahrheit zu ergründen Berge versetzte. 40 Abbildungen.
Einem Feature-artigen Porträt folgen moderne Thesen, Essays, Rezensionen, eine fundamentale Kritik der Rechtfertigung, Anstöße zu neuen Blickwinkeln, Lieder & Gedichte. Darunter moderne Versionen von Luther-Liedern:
"Vom Himmel hoch" und "Ein feste Burg"
bzw Friedensbereit/Ökumenische Fassung.
Preis: D 16,50 Euro CHF 20 ; AT 18 Euro
NN 14.05.2016
Autor Günther M. Doliwa liest aus seinem Buch und betont die Wichtigkeit von Liebe und Respekt